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Titel
Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage. Tagung in Bonn vom 3.-4. Mai 2007


Herausgeber
Fings, Karola; Möller, Frank
Reihe
Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland 20
Erschienen
Weilerswist 2008: Verlag Landpresse
Anzahl Seiten
128 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Blank, Historisches Centrum Hagen

Der Band entstand in der Folge eines Symposiums vom Frühjahr 2007, das den Umgang mit den baulichen Relikten des so genannten Westwalls zum Thema hatte.1 Neben einem Vorwort (Jürgen Kunow), einem Grußwort (Winfried Schenk) und der Einleitung der Herausgeber enthält der Band zwölf Beiträge in drei Kapiteln.

In ihrer Einleitung skizzieren Karola Fings und Frank Möller das Thema und den Forschungsstand. Sie greifen dabei unter anderem auf eine Erzählung von Franz Kafka zurück („Der Bau“, 1923/24), um von den dort geschilderten Wühlereien des dachs- und maulwurfähnlichen Wesens mit „Scharrpfoten“ zum „Westwall“ der Nationalsozialisten überzuleiten. Die rund 630 km lange Befestigungslinie des Westwalls ist ein Monument und historisches Dokument, das bis heute wenig von seiner eindrucksvollen Gestalt eingebüßt hat. Allerdings erfordert die wechselhafte Geschichte des Umgangs mit diesem Denkmal aus nationalsozialistischer Zeit ein schlüssiges Gesamtkonzept, das die Erhaltung und die künftige Nutzung dieser Anlage sichert, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung aufzeigen.

Das erste Kapitel „Aktueller Problemaufriss“ behandelt den Mythos und die Faszinationskraft des Westwalls. Frank Möller greift in seinem Beitrag „Die Enthistorisierung des Westwalls“ den Mythos vom Schutzwall auf, wie er während der NS-Zeit begründet und gepflegt wurde, um dann den Wandel zur Sinnstiftung des Westwalls als Zeugnis deutscher Ingenieursbaukunst in der Nachkriegszeit zu schildern. Der Beitrag enthält eine gut lesbare und inhaltlich nachvollziehbare Darstellung der Wahrnehmung und Rezeption des Westwalls von der NS-Zeit bis zur Gegenwart. Möller stellt auch die Versuche zur Musealisierung des Westwalls vor, die den schmalen Grat zwischen Popularisierung und unkritischer Technikbegeisterung sowie historischer Aufklärung und didaktischem Nutzen nicht immer überzeugend meistern. Der zweite Beitrag in diesem Kapitel, verfasst von Hermann-Josef Berk, liefert unter dem Titel „Faszination in Beton“ eine „psychohistorische Skizze“, die Berk aus eigener persönlicher Anschauung als Zeitzeuge interpretiert. Er setzt sich mit der Wahrnehmung und Deutung nationalsozialistischer Mythen und Legenden auseinander und untersucht ihre Wirkung auf die Bevölkerung während der NS-Zeit sowie auch in der Nachkriegszeit.

Das zweite Kapitel unter dem Titel „Bestandsaufnahme“ stellt den Westwall „aus zeithistorischer, historisch-geographischer und denkmalpflegerischer Perspektive“ vor. Christoph Rass leitet diesen Abschnitt des Buches mit seinem Beitrag „Die Bedeutung des Westwalls für die nationalsozialistische Politik und Kriegsführung“ ein. Die weiteren Beiträge von Andreas Dix („Der Westwall im Rahmen von Raumplanung und Strukturpolitik in der NS-Zeit“), Achim Konejung („Der Westwall im Propagandafilm“), Wolfgang Wegener („Westwallplanungen und -realisierungen“) und Thomas Otten („Der Westwall als Objekt und Problem der Bodendenkmalpflege“) greifen jeder für sich einzelne Aspekte auf. Alle Beiträge enthalten wichtige Informationen und erläutern den neuesten Forschungsstand, der ohne Ausnahme gut in den thematischen Kontext gestellt wird. Hier und da hätte man sich in allen Beiträgen einige Bezüge und Vergleiche zu anderen gigantisch dimensionierten „Betonprojekten“ der Nationalsozialisten gewünscht, etwa zum „Atlantikwall“, dem Bau von „Führerhauptquartieren“ und dem Luftschutzbauprogramm an der „Heimatfront“, doch auf das Thema bezogen handelt es sich um inhaltlich erschöpfend behandelte Darstellungen.

Das dritte und letzte Kapitel „Perspektive“ stellt den Westwall „als Objekt der Erinnerung und Musealisierung“ dar. Die vier Beiträge von Martina Malburg („Praxisbeispiel I: Das B-Werk Besseringen im Saarland“), Rolf Übel („Praxisbeispiel II: Der ‚Westwallweg‘ entlang des ‚Otterbachabschnitts‘ in der Südpfalz“), Eberhard Elfert („Der Westwall zwischen ‚Wildem Gedenken‘ und verantwortungsvollem Umgang“) und Karola Fings („Der Westwall als Mahnmal?“) entsprechen vom Inhalt her dem hohen qualitativen Niveau der vorausgegangenen Kapitel. Die Autorinnen und Autoren zeigen, welche unterschiedlichen Nutzungen und Perspektiven es für die Relikte des Westwalls gibt. Teilweise sind diese Konzepte bereits umgesetzt, andere wiederum bedürfen erst noch einer inhaltlichen Diskussion und Ausrichtung. Die Abbildungen des Bandes ergänzen die Texte gut; sie setzen sich aus historischen und aktuellen Fotografien zusammen.

Zusammenfassend zeigen die Beiträge, dass das Erscheinungsbild des Westwalls in der Rezeption gerade auch in den vergangenen Jahren einem starken Wandel unterworfen ist. Im Vordergrund stehen nicht mehr (oft auch persönlich motivierte) Vorstellungen, die teilweise auf NS-Propaganda fußten, sondern der bewusste Umgang mit dem Baudenkmal Westwall und seiner historischen Bedeutung. Dieser Verlust einer aus dem „Dritten Reich“ tradierten Sinnstiftung und Wahrnehmung ist auch für andere Relikte der NS-Zeit zu beobachten, etwa Hochbunker in den Großstädten.2 Ob das „Aussterben“ der Zeitzeugen- und Kriegsteilnehmergenerationen dafür die Ursache ist, könnten vergleichende Studien klären. Der „Nutzwert“ von Bauteilen des Westwalls als Mahnmalen und/oder Gedenkstätten, wie er anderen Überresten der NS-Herrschaft schon seit Jahren zuteil geworden ist, kann jedoch nur eine Perspektive sein – und knüpft dann wieder an überkommene Handlungsmuster der traditionellen „Vergangenheitsbewältigung“ in der Nachkriegsgesellschaft an. Hier könnten museale und denkmalpflegerische, vielleicht auch seriöse touristische Formen der Aufarbeitung, Erhaltung und Vermittlung neue Wege beschreiten. Das vorliegende Buch ist jedenfalls eine unverzichtbare Grundlage für die Beschäftigung mit dem Westwall und seiner vielfältigen Tradierung.

Anmerkungen:
1 Siehe den Bericht von Franziska Bedorf und Daniel Holder: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1663> (21.12.2009).
2 Siehe auch Inge Marszolek / Marc Buggeln (Hrsg.), Bunker. Kriegsort, Zuflucht, Erinnerungsraum, Frankfurt am Main 2008, und meine Rezension dazu: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-073> (21.12.2009).

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